Michael Scharsig

Von Hummeln und Schmetterlingen: Philipp Grimmel erklärt „Open Space“ im Interview

Michael Scharsig
Michael Scharsig
veröffentlicht am 13.6.2016

Philipp Grimmel ist unser Agile Coach und seit 2008 bei Studitemps. Schon früh absolvierte er Fortbildungen und erhielt das Zertifikat zum Scrum-Master nach mehreren Seminaren von agilem Produktmanagement über Arbeit mit der Organisation hin zur Arbeit als agiler Coach. Seine Kenntnisse wandte er zuerst in seiner Abteilung – der IT – an, um ein selbstorganisiertes Team zu formen. Nun liegt sein Fokus auf dem Einsatz und der Vermittlung agiler Methoden im gesamten Unternehmen, zur Risiko-Minimierung und Einstellung des Unternehmens auf die schnelllebigen Anforderungen von heute und der Zukunft.

Im Interview spricht er mit uns über eines seiner Herzensprojekte, den Open Space.

Philipp, wie bist du dazu gekommen, bei Studitemps einen Open Space zu veranstalten? Wie bist du auf das Format aufmerksam geworden?

Nach umfassender Umstrukturierung innerhalb der Technik-Abteilungen von Studitemps und aktiven Erfahrungen mit solchen Formaten auf externen Veranstaltungen entstand bei mir der Drang, so etwas auch hier anwenden zu wollen. Ein häufiges Problem ist die undurchschaubare Meeting-Kultur. Wir haben also viele Meetings, doch nicht immer ist jedem klar, was exakt er oder sie selbst dazu beitragen kann. Meetings nur um der Meetings willen sind ein Fehler. Wie man es anders machen kann, da gibt es einige Vorbilder, wie beispielsweise der Scrumtisch, agilecologne, agileruhr etc. Alle diese Veranstaltungen laufen im Open Space Format ab. Trotz sich erst vor Ort entwickelnder Agenda und z.T. großer Teilnehmer-Zahlen laufen diese Veranstaltungen letztlich sehr strukturiert und effizient ab. Das hat mich fasziniert.

Was genau hat es mit „Open Space“ auf sich?

Hinter „Open Space“ verbirgt sich eine Organisations-Methode für Konferenzen. Dabei können bis zu 2000 Teilnehmer mitmachen, wichtig ist die inhaltliche Offenheit. Kurz erklärt: Open Space wurde 1985 von Harrison Owen entwickelt. Der Geschichte nach war er 1983 ein Jahr lang damit beschäftigt einen Kongress für über 200 Organisationsentwickler vorzubereiten. Nach der Konferenz war das Feedback der meisten Beteiligten, der sinnvollste, nützlichste Teil seien die Treffen in den Kaffeepausen gewesen. Und genau darum geht es. Dieser Gedanke trieb Owen an.

Kannst du den Ablauf eines Open Space für uns skizzieren?

Gern. Zu Beginn versammeln sich alle Teilnehmer zusammen in einem Raum. Am besten im Kreis oder Halbkreis. Der Veranstalter und/oder Moderator begrüßt die Anwesenden, skizziert Ablauf, Ziele und Ressourcen und beantwortet erste Fragen. In unserem Fall wäre das beispielsweise ich.

Der nächste Punkt ist die Themensammlung. Wenn der Veranstalter in die Thematik des Open Space eingeführt hat, „öffnet er den Raum“. Das heißt, jetzt sind die Anwesenden gefragt. Jeder kann nach vorne kommen, ein Thema ansprechen, das ihm am Herzen liegt oder über welches er sprechen möchte. Alle Themen werden am White Board oder etwas Ähnlichem an eine Tabelle gepinnt. Auf einem vorbereiteten Tableaux mit Räumen und Timeboxen sortieren die Teilnehmer, die etwas besprechen möchten, ihr Thema ein.
Weil Wünsche und vor allem verfügbare Zeiten dabei kollidieren können, gibt der Moderator den sog. Session Hosts (diejenigen, die das Thema vorgeschlagen haben) anschließend an die Themensammlung im sog. „Marktplatz“ die Gelegenheit, Sessions zu schieben und zu verhandeln was Räumlichkeiten angeht.

Was dann folgt sind die Sessions selbst. In Gruppen wird selbstorganisiert und von Hosts moderiert, über die jeweiligen Themen diskutiert. Ergebnisse werden ggf. anschließend dokumentiert und zum Ende der Veranstaltung vorgestellt. Im Ablauf der Sessions gibt es ein paar Prinzipien und Regeln.

Welche Regeln und Prinzipien wären das?

Es sind Regeln, die vier bestimmen Prinzipien folgen. Eine davon ist: „Wer auch immer kommt, es sind die richtigen Leute“. Das bedeutet, jeder Session-Teilnehmer ist wichtig und motiviert. Das ist deshalb so, weil er sich das Thema selbst ausgesucht hat. Hier sagt man auch, „es beginnt, wenn die Zeit reif ist“ und „Vorbei ist vorbei, nicht vorbei ist nicht vorbei“. „Was auch immer geschieht, es ist das Einzige, was geschehen konnte“ bedeutet: Kommt man in der Diskussion zu unerwarteten Ergebnissen und endet die Diskussion bei einem anderen Thema, ist das nie falsch, sondern exakt das, was es sein muss. Kreativ, interessant, vielleicht sogar nützlich und hilfreich.

Häufig hört man im Zusammenhang mit Open Space von den Gesetzen der zwei Füße und von Hummeln und Schmetterlingen.

Das stimmt, sie sind ein fester Bestandteil. „Das Gesetz der zwei Füße“ beschreibt die Freiheit sich einer Session anzuschließen oder sie zu verlassen, wann man es selbst für richtig erachtet. Jeder Session-Teilnehmer kann frei bestimmen, wann er den Raum verlässt und sich ggf. einer anderen Diskussion anschließt. Hummeln flattern von Gruppe zu Gruppe, und „befruchten“ Diskussionen, während Schmetterlinge flanieren und da sind, wo sie sein wollen.

Welche Ziele verfolgt man mit dem Einsatz eines solchen Formates im Gegensatz zu klassischen Meetings? Wo sind die Vorteile?

Die Prinzipien sprechen für sich. Meetings müssen so eben nicht mehr nur um der Meetings willen abgehalten werden. Es gibt keine Zeitverschwendung mehr und die Entscheidungen werden immer dort gefällt, wo sie gebraucht werden. Es diskutieren nur Menschen miteinander, die interessiert daran sind, das Thema nach vorne zu bringen.

Ist Open Space pauschal sinnvoll für jedes Unternehmen und alle Abteilungen?

Meiner Einschätzung nach ist keinerlei Einschränkung nötig. Jedes Unternehmen, das Interesse an stetiger Verbesserung hat – und das sollte jedes Unternehmen sein – kann von Formaten wie einem Open Space nur profitieren.

Wir haben hier die Räumlichkeiten und die Kapazitäten, um einen Open Space im großen Stil durchzuführen. Ist das auch für kleinere Unternehmen umsetzbar?

Es gibt ja auch Möglichkeiten so etwas extern durchzuführen. Mehr als einen Raum, in dem man spricht, hat so ziemlich jeder. Zur Not reichen auch abgrenzbare Bereiche in Büro-Flächen. Wenn jeder teilnimmt, kann sich auch niemand bei der sonstigen Arbeit gestört fühlen.

Kritiker befürchten, dass viel geredet, aber wenig umgesetzt werden könnte. Was sind die wichtigsten Faktoren für den Erfolg eines Open Space?

Die Tatsache, dass Themen explizit gemacht werden, ist schon ein Erfolg. So entwickelt sich zum einen ein Bewusstsein über ein bestehendes Problem und damit wird ein Problem bearbeitbar. Die Verantwortlichkeit zur Lösung der Probleme, obliegt im Unternehmenskontext den Teilnehmern einer solchen Session. Falls möglich, sollte es Ziel sein, konkrete Handlungsanweisungen aus einer Session mitzunehmen und diese auch im Anschluss an einen Open Space weiter zu verfolgen. Durch Teilnahme von Entscheidern einer Organisation an solchen Veranstaltungen lassen sich Probleme ohne lange Wege über Hierarchien hinweg schnell „auf den Weg“ bringen. Dazu braucht es Führungskräfte, die den Mitarbeitern genau dies vermitteln und vorleben. Ein Unternehmen, in dem Leute nicht mehr gemeinsam daran arbeiten wollen und können, dass sich Dinge verbessern, ist dem Untergang geweiht.

Michael Scharsig
Über den/die Autor*in

Michael Scharsig

Mein Name ist Michael, ich habe früher für jobvalley gearbeitet und Artikel für das Jobmensa Magazin verfasst. 2013 habe ich mein JPR-Studium (Journalismus/Public Relations) abgeschlossen. Parallel dazu war ich rund zwei Jahre als Online-Fußballredakteur in NRW unterwegs und bin anschließend für drei Monate nach London gegangen. Dort lernte ich dann Marketing und Instagram näher kennen. In meiner letzten Station hatte ich als PR-Volontär mit Social Media und Blogger Relations zu tun. Privat bin ich außerdem Filmblogger und habe 2014 eine Rock-am-Ring-Facebook-Seite betreut, die sich dafür einsetzte, dass Festival in meine Heimat zu holen. Hat nicht geklappt, aber Spaß hat's gemacht.

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