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Selbstvertrauen statt chronische Unterforderung: Wege aus dem Boreout-Syndrom

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veröffentlicht am 14.12.2022

Vor einigen Jahren stieg das Burnout-Syndrom von einer Theorie zur größtenteils akzeptierten Volkskrankheit auf. Was ist aber, wenn Unterforderung am Arbeitsplatz genauso belastend ist? Kann man krank sein, obwohl man eben nicht gestresst und ausgelaugt ist? Auch wenn das sogenannte Boreout-Syndrom unbekannter ist, ist es ernst zu nehmen, denn mit chronischer Langeweile im Alltag ist nicht zu spaßen. Wir werfen einen Blick dahinter und versuchen zu ergründen, woran sich Boreout feststellen lässt, warum selten darüber gesprochen wird und wie Unternehmen und Mitarbeitende dagegen kämpfen können.

Symptome – Wie und warum sie auftreten

Es wäre zu einfach, einzig dem Arbeitgeber oder der Arbeitgeberin die Schuld an ständiger Langeweile zu geben. Entstehen kann das Boreout-Syndrom vor allem bei Menschen, die sehr hohe Ansprüche an sich selbst stellen. Auf der Jagd nach regelmäßiger Anerkennung steigt der Druck, noch mehr Leistung erbringen zu müssen. Die empfundene Unterforderung resultiert dann automatisch aus Mangel an Selbstverwirklichung. Der oder die Betroffene empfindet sich und den eigenen Stellenwert dann als sinnlos, ohne Chance etwas zu bewirken oder sich weiterzuentwickeln.

Dabei gibt es mehrere Formen der Unterforderung

Zum Beispiel können Zeit und Pensum eine Rolle spielen. Der oder die Mitarbeiter*in erledigt seine oder ihre Aufgaben in der Hälfte der Arbeitszeit. Was bleibt, sind restliche Stunden Leerlauf. Auf der anderen Seite können aber auch Aufgaben zugeteilt worden sein, die die jeweiligen Kompetenzen nicht ansatzweise entsprechen. Ein gutes Beispiel hierfür sind interessanterweise Geflüchtete und/oder Menschen mit Migrationshintergrund. Sprachbarrieren verhindern trotz vieler Fähigkeiten und Abschlüsse meist Jobs mit hoher Verantwortung oder Entfaltung.

Für alle gilt: Wer sich am Arbeitsplatz unterfordert fühlt, auch gemessen an eigenen Ansprüchen, kann schnell typische Merkmale eines Boreouts vorweisen: Antriebslosigkeit, Schlafstörungen oder aber das Problem morgens aus dem Bett zu kommen, Niedergeschlagenheit und Unzufriedenheit bis hin zur schweren Depression.
Und hier ist der Teufelskreis. Symptome des Boreouts können über die angeschlagene Psyche schnell Brücken schlagen zum Burnout. Rücken- und Kopfschmerzen, Magenprobleme, Schwindelgefühle, Tinnitus – all das können Anzeichen sein, die mit Tabletten nicht unbedingt für immer verschwinden. Wer sich nicht anerkannt fühlt, unzufrieden ist und vielleicht schon von einigen dieser Symptomen geplagt wird, läuft ebenfalls Gefahr in Selbstzweifeln, Identitätskrisen oder Aggressionen zu versinken. Betroffene kapseln sich häufig von ihrem sonstigen Umfeld ab, wollen sich zurückziehen, fühlen sich wertlos. Erschwert werden diese Probleme dann noch, wenn im Unternehmen tatsächlich Mobbing und ein schlechtes Arbeitsklima vorherrschen. Nicht jede'r Chef*in erkennt die Gefahren. Die AOK zählte 2020 in Deutschland durchschnittlich 5,5 Arbeitsunfähigkeitsfälle je 1.000 Mitglieder*innen aufgrund einer Burnout-Diagnose.

Warum nicht immer offen darüber gesprochen wird

Wollen wir mal ehrlich sein. In der heutigen Gesellschaft erfordert es schon Mut, offen über ein Boreout-Syndrom zu sprechen. Wer gibt schon gerne zu, chronische Langeweile am Arbeitsplatz zu verspüren? Und wer würde komplett vorurteilsfrei zuhören? Beim Burnout war das noch anders. Wer in den Nachrichten immer wieder von unfairen Gehältern und unmenschlichen Arbeitsbedingungen hört, der ist schnell davon überzeugt, dass jemand überlastet ist und schlägt sich auf dessen Seite. Langeweile bzw. Unterforderungen werden noch immer als Faulheit und Luxusproblem abgestempelt. Mitarbeiter*innen selbst halten sich also zurück. Wer stundenlang antriebslos in den Bildschirm starrt und irgendwelche Tasten drückt, der will trotz Unterforderung nicht, dass die eigene Tatenlosigkeit auffliegt. Die Person weiß, dass das nicht unbedingt ihre Schuld ist, als unnötig möchte sie ihre Position aber auch nicht darstellen.

Ob aus purer Angst vor dem Jobverlust, oder weil sich der oder die Vorgesetzte selbst nach Gesprächen nicht regt: Oft flüchten sich Betroffene in falschen Aktionismus. Sie fangen an Arbeit vorzutäuschen, bauschen ihre Aufgaben auf, „spielen“ gestresst – und das, obwohl sie es eigentlich wirklich sind. Nur eben nicht durch Überbelastung. Irgendwann machen Kopf und Geist nicht mehr mit. Das Ganze schlägt auf die Psyche und kostet Kraft. Was aber noch schlimmer ist: Die meisten Betroffenen haben von dem Wort Boreout und seinen Folgen womöglich noch nie etwas gehört.

Unternehmen dürfen sich nicht ausbremsen

Natürlich muss von Fall zu Fall analysiert werden, inwiefern eine Boreout-Erkrankung vorhanden ist. Unternehmen machen trotzdem einen schweren Fehler, wenn sie dieses Problem ausschließlich verleugnen oder ignorieren. Sie stellen sich damit selbst ein Bein. Es muss das Ziel einer jeden Firma sein, ihre Mitarbeiter*innen zu fördern. Anders formuliert: Die Aufgabenfelder sollten so zusammengesetzt werden, dass Motivation, Fleiß und Spaß an der Arbeit nicht im Keim erstickt werden. Bürokratie, feste Strukturen, wenige Ansprechpartner*innen – das alles kann behindern.
Es muss auf das Individuum geschaut werden: „Wo kann die eigene Kreativität genutzt werden? Welches Wissen besitzt er oder sie, das uns vorantreibt?“ So sehr der Fortschritt die Arbeitswelt auch beeinflusst, Kreativität, intuitive Entscheidungen, Konzepte und Ideen werden immer vom Menschen kommen, nicht von Maschinen. Das Potenzial des Erfolgs liegt immer auch in jedem einzelnen Mitarbeitenden und eben dieses Potenzial darf nicht verschwendet werden.

Was kann man tun?

Wer bei sich Anzeichen des Boreout-Syndroms feststellt, kann sich Hilfe bei Coaches, beratenden Institutionen oder eben Psycholog*innen holen. In erster Linie werden diese versuchen, die auftretenden Beschwerden zu reduzieren, zum Beispiel durch Psychotherapie.

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Wer vom Boreout betroffen ist, kann an der eigenen Situation arbeiten und sie grundlegend verändern. Boreout-Betroffene müssen lernen, dass sie selbst handeln können und nicht hoffnungslos im Tief stecken. Verändert werden muss die eigene Haltung, privat und auf der Arbeit. Das Stichwort heißt „Fragen an mich selbst“. Das wiederum bedeutet so viel wie ehrlich sich selbst gegenüber zu sein und Klarheit über sich und sein Leben schaffen. Gelingt das, trifft man auch wieder Entscheidungen, die einen aus dem Loch ziehen. Beispielsweise sollte sich jede*r darüber im Klaren sein, was ihm oder ihr in Sachen Job und Privatleben wichtig ist. Der nächste Schritt wäre zu analysieren, was davon in der aktuellen Situation alles nicht erfüllt ist. Als Resultat werden genau diese Punkte dann angegangen. Dabei kann es sich um die verschiedensten Dinge drehen: Qualifikationschancen, Weiterbildungen, die das eigene Profil stärken. Aussprachen, Verhandlungen mit Chefs oder Kolleg*innen bzgl. neuer Konditionen, Aufgabenfelder oder Positionen. Eigene Vorschläge. Oder eben auch – wenn es gar nicht anders geht – der Jobwechsel.


Im Großen und Ganzen geht es darum Selbstvertrauen zurückzugewinnen und dieses anzuwenden. Selbstmitleid bringt keine Lösung, sei es noch so berechtigt. Die Rolle des Opfers ist eine Leiter. Die Frage lautet: Werden Opferhaltung und Selbstmitleid jemals aus der Klemme helfen? Nein. Egal, ob der oder die Vorgesetzte unfähig ist zu führen, egal ob das Unternehmen Jobs falsch verteilt – am Ende liegt die Entscheidung über das eigene Leben bei jedem selbst. Und dafür muss man selbst reagieren und handeln. Ein Tipp wäre der Versuch, einzelne Alltagsroutinen zu ändern oder loszuwerden, raus aus der Gewohnheit. Ebenso ist es ratsam gewisse Freiräume für Ausgleiche beizubehalten. Aus Langeweile gibt es immer einen Weg heraus, den man selbst in der Hand hat. Frei machen von eigenem Leistungsdruck, Klarheit über Leben und Lebensziele schaffen. Durchatmen, Kraft tanken. Entscheidungen sind immer mit einem Risiko verbunden. Wieder erstarkt, ist man sich aber der Verantwortung sich selbst gegenüber bewusst und weiß, dass auch neue Entscheidungen getroffen werden können, wenn die ersten nicht gewinnbringend war.

Arbeitgebende aber auch Betroffene haben es in der Hand

Ein kurzes, simples Beispiel anhand von Studierenden und Studienanfängern: Gerade die oft zitierte, junge Generation Y ist sehr anfällig für Boreout. Für sie stehen nicht nur Karriere und Geld im Fokus, sondern ebenso Work-Life-Balance und Selbstverwirklichung. Alles muss irgendwie Sinn ergeben und Langeweile ergibt nun mal keinen Sinn. Was kann sie selbst also tun? Zum Beispiel bewusst und mit voller Überzeugung Studienfächer wählen. Wer sich hier schon nicht mit der Fachrichtung identifizieren kann, die er vielleicht nur gewählt hat um dem Druck standzuhalten sofort etwas finden zu müssen, wird langfristig nicht glücklich damit. So etwas geht präventiv, wie bei der Studienwahl. Aber es geht auch nach 30 Jahren im Berufsleben. Nur nicht die Augen davor verschließen.

Das Boreout-Syndrom ist mehr oder weniger ein Phänomen der modernen Arbeitswelt. Es ist aber kein Trend und auch kein Luxusproblem, sondern gefährlich für die eigene Gesundheit. Unternehmen und Führungskräften ist zu raten, mehr in die Evaluation der Zufriedenheit eigener Mitarbeiter*innen zu investieren, da sonst viel Arbeitspotenzial verloren gehen könnte. Gerade junge Arbeitskräfte brauchen Herausforderungen und Abwechslung, denn ihre Kreativität ist ein wichtiges Gut. Für Betroffene gilt, die chronische Langeweile nicht einfach hinzunehmen. Leichtverdientes Geld ist nicht alles. Sollten sich Frust und Langweile breitmachen, muss jede*r das eigene Leben kontrollieren und den Mut zu Entscheidungen und Veränderungen haben.

Dieser Artikel erschien am 30 Juni 2016 und wurde aktualisiert.

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