Katja Urbatsch

„Studierende brauchen ein BAföG, mit dem sie rechnen können!”

Katja Urbatsch
Katja Urbatsch
veröffentlicht am 27.7.2023

Hintergrund für die Reformdiskussion ist, dass das BAföG immer mehr seine Kernförderungsziele verfehlt. Dies zeigt sich wohl am deutlichsten daran, dass die Förderquote – also der Anteil der Studierenden, die BAföG erhalten – heute weniger als halb so hoch liegt wie 1991. Dies ist der absolute Tiefststand seit der Wiedervereinigung. Und mehr noch: Die maximale Förderhöhe des BAföG hinkt den durchschnittlichen Lebenshaltungskosten der Studierenden inzwischen um ein- bis zweihundert Euro hinterher.

Kompliziertes Antragsverfahren überfordern viele Studierende

Immer wieder erleben wir im Kontakt mit Studierenden der ersten Generation, wie kompliziert sich das Antragsverfahren beim BAföG darstellt. Viele sind davon überfordert; und zwar in einer Zeit, in der man sich zum Beispiel um ein Zimmer in einer anderen Stadt kümmern müsste. Gleichzeitig warten die BAföG-Berechtigten nach erfolgreicher Zusage mehrere Monate auf die erste Auszahlung und müssen so, trotz des ohnehin kleinen Geldbeutels, finanziell in Vorleistung gehen. Hier brauchen wir dringend eine andere Prozedur, die das Geld bereits ab dem Umzug an den Hochschulort zur Verfügung stellt. Und wir brauchen Planbarkeit, sodass schon vor der Antragsstellung jeder und jedem klar ist, was sie/ihn an Förderleistung erwarten wird. 

Außerdem: Viele, denen BAföG grundsätzlich zusteht, schrecken im Vorfeld des Studiums vor einem Antrag zurück, da sie damit – gefühlt – recht hohe Schulden von bis zu 10.000 Euro anhäufen. Das ist gerade für Kinder aus sozial schwächer gestellten Familien eine unglaublich hohe Hürde. Hier brauchen wir dringend eine Diskussion über die Höhe des Darlehensanteils. Und wir brauchen eine bessere Aufklärungsarbeit über die weiteren Förderungsmöglichkeiten in den Schulen. Einen Teil dieser Arbeit leisten wir mit meiner ehrenamtlichen Organisation, jedoch reicht das bei Weitem nicht aus. Denn oft fehlt bei Kindern aus nichtakademischen Elternhäusern generell das Basiswissen über Förderungsmöglichkeiten im Bildungssystem. Selbst das BAföG kennen viele nur als Begriff und wissen nicht, was wirklich dahintersteckt. Von Stipendien ganz zu schweigen. 

Grafik BAföG

Statt sich in Abhängigkeit von Ämterbürokratie zu begeben, versuchen einige dann, durch Nebenjobs ihr Einkommen zu sichern – mit den entsprechenden Folgen für die Studiendauer und den Studienabschluss. Ein Umstand, der übrigens gerade in der Pandemie vielen zum Verhängnis wurde, als begehrte Studi-Jobs massenhaft wegfielen, etwa in der Gastronomie. Vorbild beim Informieren von Studierenden könnten die Universitäten in den Vereinigten Staaten sein, die mit der Zusage zum Studienplatz gleichzeitig Informationen zur Studienfinanzierung versenden.

Strukturelle Hürden insbesondere auch für Trennungs- und Scheidungskinder

Auch an die stetig steigende Zahl der Trennungs- und Scheidungskinder sollte stärker gedacht werden. Schließlich müssen für den BAföG-Antrag Formulare von beiden Elternteilen zu ihrem Einkommen ausgefüllt werden. Ist der Kontakt zu einem Elternteil belastet, können die entsprechenden Formulare oft nur sehr schwer von den Studierenden eingebracht werden. Viele geben dann auf, die Förderung zu beantragen, weil sie nicht wollen, dass sich das BAföG-Amt direkt an die Eltern wendet. Oder aber sie denken, dass der Antrag dann einfach abgelehnt wird. 

Was die Kostenseite betrifft, berücksichtigt der BAföG-Satz aktuell nicht angemessen die in vielen Hochschulstädten stark gestiegenen Mieten und Lebenshaltungskosten. Auch wird nicht berücksichtigt, dass die jedes Semester zu zahlenden Rückmeldegebühren bereits auf teils 400 Euro gestiegen sind. In einzelnen Studiengängen sind zudem hohe einmalige Aufwendungen zu finanzieren: In Zahnmedizin muss beispielsweise ein etwa 1.000 Euro teurer Koffer mit Utensilien wie Bohrern und Fräsen gekauft werden, in Archäologie oder Geografie werden Pflichtexkursionen teils nicht für unter 1.000 Euro angeboten. Auch diese Mehraufwendungen finden im BAföG keine Berücksichtigung. 

Dennoch, bei aller Kritik am BAföG war und ist es ein Meilenstein für die Bildungsgerechtigkeit in Deutschland. Studierende aus anderen Ländern schauen teils neidisch auf dieses wichtige Instrument. Zuletzt hat sich die Ampel-Koalition das Ziel einer größeren Anpassung von Stellschrauben und ein Stopfen mancher Löcher in den Koalitionsvertrag geschrieben. Die Rufe vieler wichtiger Akteure nach einer großen, grundlegenden Reform des BAföG, die vor der Wahl zu hören waren, bleiben aber aktuell. Denn es geht darum, dass die Studierenden ein BAföG bekommen, mit dem sie besser rechnen können.

Dieser Gastbeitrag erschien in unserer Fachkraft 2030 Jubiläumsausgabe.

Katja Urbatsch
Über den/die Autor*in

Katja Urbatsch

Katja Urbatsch, Gründerin und hauptamtliche Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation ArbeiterKind.de, studierte Nordamerikastudien, Betriebswirtschaftslehre und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Als erste Akademikerin ihrer Familie ist sie mit den Problemen und Studienherausforderungen von Kindern aus Familien ohne Hochschulerfahrungen vertraut, denn ihre eigenen Studienerlebnisse motivierten sie zur Gründung von ArbeiterKind.de.

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