Michael Scharsig

Agiles Management - Teil 1: Experten sprechen mit Studitemps über Anfänge und Entwicklung

Michael Scharsig
Michael Scharsig
veröffentlicht am 13.11.2016

Agiles Management hat die Büros und Konferenzräume der Unternehmen in Deutschland erreicht und dort bereits für viel Umdenken und Diskussionen gesorgt. Zusammen mit einigen Experten auf dem Gebiet, beschäftigen wir uns mit Standing, Entwicklung, Umsetzung und Favoriten der Methodik.

In diesem Beitrag beantworten unsere Experten Fragen zu den Anfängen und der Entwicklung des Agilen Managements.

Wie ist Agiles Management in Deutschland aufgenommen worden?

Svenja Hofert

„Das ist schon ein ziemlicher Hype im Moment, auch wenn keiner richtig versteht, was sich eigentlich dahinter verbirgt. „Agile“ Managementideen gibt es schon länger, so könnte man das Viable Systems Model von Stafford Beer als agil bezeichnen, denn es baut auf sich selbstorganisierenden Einheiten auf. Das ist dann auch die Grundidee: Agiles Management ermöglicht und fördert die Selbstorganisation, verlagert Managementaufgaben also in die Teams. Es geht nicht um eine Steuerung von oben, sondern eine Steuerung aus den Einheiten hinaus. Dadurch verändert sich die Unternehmensführung, aber eben auch die Personalführung.Während ersteres die Selbstorganisation fördert, geht es bei letzterem vor allem um Teamentwicklung. Natürlich verunsichern diese Ideen auch sehr. Es kann danach kein Command & Order mehr geben – mittlere Führungsebenen sind im Grunde in der derzeitigen Form überflüssig. Führungskräfte können sich nicht mehr als „Oberentscheider begreifen“. Das erfordert teils erhebliche Veränderungen, die nur schrittweise erfolgen können - abhängig davon, wo ein Unternehmen gerade steht. Ich stelle in meinem Buch „Agiler führen“ dazu mehrere Diagnose-Tools vor, mit denen sich Denken und Handeln auch schrittweise anpassen lassen.“

Judith Andresen

„Die Forderungen des agilen Manifests sind fünfzehn Jahre alt. Das agile Manifest wurde aus der IT heraus formuliert. Die Auswirkungen der digitalen Transformation waren da als Erstes hart spürbar. Dort wurde zum ersten Mal klar: "Unsere bisherige Vorgehensweise beantwortet häufig nicht unsere Fragen. Wir brauchen einen weiteren Wege, eine andere Denke." Je stärker Unternehmen der digitalen Transformation ausgesetzt wird, desto klarer wird dem Management, dass sich nicht nur das Projektvorgehen "unten", sondern dass sich alle verändern müssen. Das schließt Prozesse, Management und die Organisation als Ganzes ein. Diese Erkenntnis scheint mir in analytischer Form in Deutschland angekommen zu sein. Nicht jedes Management operationalisiert das für sich. Auch Manager und Managerinnen haben Komfortzone. Und womöglich auch manchmal harte Panik. Und in der Panik hilft manchmal auch die Aussage: 'Wir haben nicht alles falsch gemacht. Wir machen weiter so.' Das ist menschlich.“

Marion Eickmann

„Während vor ein paar Jahren überwiegend die IT oder Entwicklungsabteilungen agile Methoden einführen wollten, ist inzwischen klar, das Agile nur dann erfolgreich ist, wenn das Management seine Rolle bei einer Agile Transition versteht und ausfüllt. Darüber hinaus verbreitet sich Agile heute auch mehr und mehr in Abteilungen wie z.B HR und auch in Non-IT Unternehmen. Agile funktioniert in allen Bereichen und Branchen, aber eben nicht immer gleich. Agile Frage der Kultur, des Mindset, der Kollaboration und Kommunikation im Unternehmen. Das Management hat dies erkannt und versteht mehr und mehr, wie wichtig seine Rolle bei einer Agile Transition ist.“

Antoinette Beckert

„Flache Hierarchien, gemeinsame Meinungsbildung und Entscheidungsfindung und vor allem die feedback-orientierte Projekt- und Unternehmensentwicklung finden sich insbesondere in jungen, stark technologiegetriebenen Unternehmen. Auf der anderen Seite stehen alteingesessene Firmen z.B. in der Industrie der Idee, Führung zu verändern und Hierarchie abzubauen und mehr Selbstorganisation und damit Verantwortung in Teams zu verlagern noch kritisch gegenüber. Dahinter steckt häufig noch der Glaube, dass die Mitarbeiter/innen nur das machen (können), was ihnen von Chefs aufgetragen wurde. In Konzernen erlebe ich bereits viele Initiativen, um Agiles Management umzusetzen. Ich mache die Erfahrung dass man genau schauen muss, was der Einzelne unter Agilität versteht, und in welchen Schritten man sich einem, dem Unternehmen und vor allem dem Kunden zuträglichen Zielzustand annähert. Vorgefertigte Konzepte helfen nicht. Es sind eher ein prozessorientiertes, agiles Vorgehen, Kreativität und vor allem Durchhaltevermögen gefragt, um die passende und auf den Kunden ausgerichtete Art der Zusammenarbeit auszugestalten.“

Was ist Ihre Aussicht bezüglich der Entwicklung von Agilen Management?

Wolfram Müller

„Manche agile Methoden der ersten Generation wie Scrum und Kanban sind weitgehend „Mainstream“ und daher schon wieder auf dem absteigenden Ast. Viele Unternehmen die jetzt auf Scrum setzen werden leider ein böses Erwachen erleben. Die ersten schlechten Implementierungen werden jetzt sichtbar und es werden noch mehr werden. Agiles Management, wenn es richtig verstanden ist, wird aber in Zukunft mehr und mehr an Bedeutung gewinnen - nur die Firmen, die agiles Management wirklich denken und anwenden werden überhaupt noch erfolgreich sein.“

Antoinette Beckert

„Ich glaube, dass wir uns alle auf einem großen Lernfeld bewegen und in den nächsten Jahren sehr individuelle Konzepte der Führung und Zusammenarbeit in Unternehmen entstehen werden – egal ob wir es dann agil nennen oder anders. Da gibt es für jeden Einzelnen viel Gestaltungsspielraum. Bereits jetzt ist zu erkennen, dass die digitalen Medien die Art der Zusammenarbeit beeinflussen, das wird meiner Einschätzung nach noch zunehmen. Ich glaube allerdings auch, dass wir zunehmend kritisch abwägen werden, wann persönliche, und wann mediengestützte Kommunikation hilfreich und zieldienlich ist und wie wir unseren „sozialen Klebstoff“ Beziehung ausgestalten möchten, damit Arbeit Spaß macht und Sinn stiftet.“

Judith Andresen

„Ehrlich gesagt: ich habe für Unternehmen keine „Best Practices“ im komplexen Umfeld anzubieten. Best Practices gibt es systemtheoretisch nur in einem offensichtlichen Umfeld. Die Methoden in einem komplexen Umfeld funktionieren immer nach „Probe - Sense - Respond“. Gerade auf Methodenebene gilt die Forderung „Inspect and adapt“. Und selbst das reicht häufig nicht. Wessen Branche so von der digitalen Transformation geschüttelt ist, dass das Geschäftsmodell vollständig brach liegt, kommt selbst damit nicht weiter. Im chaotischen Umfeld ist „Act Sense Respond angesagt. „Einfach mal machen“ und lernen. Da wäre es wenig hilfreich, wenn wir im Coachingalltag Vorlieben für bestimmte Methoden hätten. Unsere Aufgabe ist es, den Raum aufzumachen, damit unsere Klienten und Klientinnen neue Möglichkeiten entdecken. Wir handeln dann aus, wie entsprechende Experimente laufen sollen. Was uns dabei trägt, ist eine Haltung, die der agilen Denke entspringt. So formuliert die agile Gemeinschaft die Regel: „Card Converation Confirmation“. Das ist keine Mehode als Solches, sondern eine Haltung. Ich formuliere ein Ziel und einen Nutzen (und das möglichst präzise, also schriftlich) und handle das so lange mit den Beteiligten aus, bis alle das Ziel und den Nutzen verstanden haben. Die Ausführung delegiere ich dann an das entsprechende Team. So unterstütze ich als dienende Leitung meine Teams.“

Marion Eickmann

„Ich denke, dass sich in den nächsten Jahren Unternehmenskulturen herausbilden, die wir so derzeit noch nicht kennen. Ich spreche hier nicht von dem Kicker auf dem Flur oder der Sofaecke. Ich spreche von Unternehmen, die agiles Mindset wirklich leben, in denen Führungskräfte tatsächlich führen und keine Aufgaben mehr zuweisen. Es gibt schon einige Beispiele für solche Ansätze, wie z.B. Menlo Innovation (Richard Sheridan) oder auch eine Firma aus Düsseldorf (Sipgate). Hier hat ein Kulturwandel stattgefunden, der greifbar anders ist, als in klassischen Unternehmen.“

Zu Wort kamen:

Svenja Hofert
(Karrierecoach mit Schwerpunkt Karriereplanung sowie Persönlichkeits- und Stärkenentwicklung vor dem Hintergrund einer sich ändernden Arbeitswelt.)

Judith Andresen
(Inhaberin der Beratung Judith Andresen, Agiler Coach und Ogranisationsentwicklerin, unterstützt Unternehmen beider Einführung agilen Arbeitens, agilen Denkens und Führens.)

Marion Eickmann
(Gründerin der agile42 GmbH, hat sich auf Agile Coaching und Lean Management spezialisiert.)

Antoinette Beckert
(Coach, Change-Managerin und Ingenieurin mit den Fachbereichen Leadership-Coaching, Teamcoaching und Change-Management.)

Wolfram Müller:
(Geschäftsführer der Speed4Projects, langjähriger Experte in Critical Chain und erfahrener Trainer.)

Michael Scharsig
Über den/die Autor*in

Michael Scharsig

Mein Name ist Michael, ich habe früher für jobvalley gearbeitet und Artikel für das Jobmensa Magazin verfasst. 2013 habe ich mein JPR-Studium (Journalismus/Public Relations) abgeschlossen. Parallel dazu war ich rund zwei Jahre als Online-Fußballredakteur in NRW unterwegs und bin anschließend für drei Monate nach London gegangen. Dort lernte ich dann Marketing und Instagram näher kennen. In meiner letzten Station hatte ich als PR-Volontär mit Social Media und Blogger Relations zu tun. Privat bin ich außerdem Filmblogger und habe 2014 eine Rock-am-Ring-Facebook-Seite betreut, die sich dafür einsetzte, dass Festival in meine Heimat zu holen. Hat nicht geklappt, aber Spaß hat's gemacht.

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